Kannst Du Dich erinnern, als im Büro die Tische umgestellt wurden? Oder damals, als die Abteilungen neu organisiert wurden? Oder noch besser: Als das Reisebudget drastisch gekürzt wurde? Aber am schlimmsten war es eigentlich, als die Kaffeemaschine ausgetauscht wurde und es nur noch die kleinen Gläser gab, oder?
Das waren Veränderungen in unserem Alltag, die wir so oder so ähnlich alle schon einmal erlebt haben. Und jedes Mal verläuft unsere Gewöhnung an die neuen Umstände in Phasen und Wellen ab. Jetzt gerade verändert sich nicht die Sitzordnung, sondern die Welt. Wir alle spüren das im Alltag deutlich und sind deutlich betroffen und herausgefordert. Da liegt es auf der Hand, einen Blick darauf zu werfen wie diese Gewöhnung abläuft. Es ist tröstlich, dass sich im großen Pandemie-Blickwinkel die gleichen menschlichen Reaktionen auf Veränderung beobachten lassen, die wir aus der kleineren (Kaffee-) Perspektive kennen.
In welchen Phasen diese Gewöhnung genau abläuft haben einige Wissenschaftler und Experten wie Kotter, Streich und Kübler-Ross mit leicht unterschiedlichen Schwerpunkten untersucht und veranschaulicht. Interessanterweise wird das oft „7 Phasen der Veränderung“ genannte Modell häufig im Rahmen der Unternehmenskommunikation oder im Change Management genutzt – und das, obwohl Kübler-Ross damit ursprünglich die Phasen der Trauer bei Sterbenden oder deren Angehörigen beschrieb. Für die Auseinandersetzung mit der aktuellen Pandemie sind wir da wohl sogar näher am Ursprung der Theorie als mit dem Outsourcing-Projekt in der Finanzabteilung.
Wie auch immer, lauten die Phasen*:
- Schock
- Leugnen/ Zorn/ Ablehnung
- Rationale Einsicht/ Verhandeln
- Depression/ Leiden
- Emotionale Akzeptanz
- Lernen/ Umgang ausprobieren
- Erkenntnis/ Integration
Und jetzt zurück zur aktuellen Lage: Den ersten Schock über die Covid19-Meldungen haben wir relativ sicher alle hinter uns gelassen. Deshalb ist es jetzt so interessant zu überlegen, in welcher Phase Du Dich selbst gerade befindest und in welcher sich wohl Deine Mitmenschen gerade mehr oder weniger wacker schlagen.
Jeder hat seine ganz eigene Geschwindigkeit, mit der er diese Phasen durchläuft. Manch einer bleibt lange oder dauerhaft in einer Phase oder wiederholt vorherige nach gewisser Zeit. Phasen können auch ausgelassen werden.
Aber jede Phase geht mit ihrem ganz individuellen emotionalen Befinden einher. Und so, wie wir uns fühlen, so verhalten wir uns – in unserem Alltag, in unserem Job und im Austausch mit unseren Mitmenschen.
Vielleicht geht es Dir da wie mir und Du empfindest es als tröstlich oder beruhigend, dass das eigene Erleben der aktuellen globalen Krise einerseits nur allzu menschlich ist und sich andererseits auch kontinuierlich wandelt und entwickelt. Diese Entwicklung läuft nicht linear immer vorwärts. Sie dreht Schleifen. Wir probieren aus, verwerfen und überlegen neu. So ist es auch leichter zu akzeptieren, dass unsere Alltagsregeln immer in Abhängigkeit der Fallzahl-Entwicklungen gelten und wir uns vermutlich in zwei Wochen wieder neu organisieren müssen. Und vielleicht hilft Dir dieses Phasenmodell auch im Umgang mit Deinen Mitmenschen.
[Schock]
Erinnerst Du Dich an das Gefühl, als wirklich die Schulen geschlossen wurden, als Fußball nicht mehr stattfand? Das war doch kaum zu glauben. Man konnte die kollektive Fassungslosigkeit teilweise fast greifen.
[Leugnen/ Zorn/ Ablehnung]
Diesen Wunsch, das möge doch alles nicht wahr sein, kennen wir sicher alle. Diese Gedanken „Ach, vielleicht wird auch wirklich etwas übertrieben?“ schleichen sich sicher immer wieder mal in jedes umfassend abwägende Gehirn. Und wenn Leugnen nicht mehr funktioniert, ist die Wut nicht weit. Wut über die Umstände, die man jetzt hat. Zorn über die Einschränkungen und Beschränkungen unserer individuellen Freiheit – das mögen wir zu Recht nicht. Im Austausch mit Menschen, die gegen die Behelfsmasken sind oder sich mit dem Abstand schwer tun – ganz zu schweigen von den Verschwörungstheoretikern und Corona-Leugnern – ist es sinnvoll zu sehen, dass sie sich emotional in dieser zweiten Phase befinden. Das im Austausch anzuerkennen und die Wut wahrzunehmen und deren Wurzeln zu verstehen, kann sehr helfen. Es hilft dabei, selbst nicht die Beherrschung zu verlieren und es hilft, ins Gespräch zu kommen – und vielleicht etwas Bewegung in den Durchlauf der Phasen zu bringen.
[Rationale Einsicht/ Verhandeln]
Wenn unsere Gedankenschleifen dann wieder an den – aus meiner Sicht vernünftigen – Punkt kommen, dass es nichts zu leugnen gibt und es immer noch gilt, die Fallzahlen niedrig zu halten, dann ist es auch nur zu menschlich, dass unser Gehirn in den Quengel-Modus geht und versucht, für uns persönlich unter den gegebenen Umständen noch das Beste rauszuholen. Weil wir natürlich rational verstehen, dass wir unsere Kontakte auf die nötigsten Kreise beschränken sollten und niemanden außerhalb dieser Kontaktgruppen herzen und an-atmen sollten. Nur – was ist denn dann mit der Oma, die von weit weg zum Geburtstag kommt? Oder mit den Feierlichkeiten zur Einschulung? Mit dem Café-Besuch mit der besten Freundin, weil man einfach mal raus musste? Jeder von uns ist hier ständig gefragt, das noch vertretbare Maß zu finden in der Abwägung von Corona-sinnvollem Verhalten und emotionalen Bedürfnissen.
[Depression/ Leiden]
Wenn wir uns das nicht bewusst machen oder es uns nicht gelingt, unsere Bedürfnisse unter den gegebenen Umständen zumindest mal ernst zu nehmen, dann leiden wir. Dann könnten wir in die Tischkante beißen vor Frust oder Sehnsucht nach Nähe und Austausch oder nach Normalität.
[Emotionale Akzeptanz]
Und weißt Du was? Das ist ok. Das ist nur zu menschlich. Und das geht jedem von uns immer wieder so. Der Weg durch dieses Tal führt durch dieses Tal. Damit meine ich, dass wir nicht weiterkommen, wenn wir uns nicht anschauen, was uns so zu schaffen macht. Hinzuschauen, was belastet und die Gefühle zu fühlen, die da sind, ist immer Voraussetzung dafür, sie auch überwinden zu können.
[Lernen/ Umgang ausprobieren]
Gefühle stehen in direktem Zusammenhang mit unseren Gedanken und leiten unser Handeln. Sie sind unser Treibstoff und geben uns immer wichtige Hinweise auf Entwicklungsmöglichkeiten. Ein wahrgenommenes, ernstgenommenes und gefühltes Gefühl kann Platz machen für ein neues, nächstes Gefühl. Wenn wir den Frust überwunden haben, ist vielleicht Platz für eine Spur Hoffnung oder zumindest Gelassenheit. Wir sind bereit, uns in der neuen Situation auszuprobieren, Organisationsmodelle zu testen und Neues über unsere Welt und unsere Umwelt zu lernen.
[Erkenntnis/ Integration]
Und dann wird es natürlich noch einmal besonders spannend in der letzten Phase der Veränderung, wenn es darum geht, welche Erkenntnisse Du aus diesem durchaus schmerzhaften Veränderungsprozess mitnimmst. Welche Erkenntnisse wirst Du in Deinen neuen Alltag integrieren? Wie also wirst Du Dein „New Normal“ gestalten?
Und wie verdammt nochmal soll man bei den ganzen Ungewissheiten derzeit überhaupt ins Gestalten kommen? Bei allen phasentheoretischen Gedanken-Modellen ist das doch für viele von uns derzeit die brennende Frage. Deshalb hoffe ich, dass Du für heute mitnimmst, dass die oben beschriebene Achterbahn der Gefühle und Gedanken sehr, sehr menschlich ist.
Welche Schleifen drehst Du momentan so?
Nächste Woche Freitag knüpfe ich an mit einem Vorschlag, wo Halt und Sicherheit für’s Gestalten unter den aktuellen Corona-Bedingungen zu finden sind.
Bis nächste Woche!
Und hey – wenn Du nicht bis nächste Woche warten kannst, dann schreibe mir eine E-Mail und wir vereinbaren ein Gespräch zum Kennenlernen und wir sprechen direkt über Deinen persönlichen Halt und Deine individuelle Sicherheit in dieser ganzen derzeitig verzwickten Unsicherheit.
pic by Fabien Bazaneque on Unsplash
* bitte ganz klar: Die hier gewählte Darstellung ist wissenschaftlich nicht fundiert und beinhaltet eine Vermischung der verschiedenen Ansätze, die ineinander übergehen - was aber ja gängige Praxis für pragmatisch, praktische Anliegen ist 😉